Digitale Gesundheit 360° - Rundumblick zur elektronischen Patientenakte
Dass Ärzte, Apotheker, Vertreter von Patienten, Krankenkassen und Verbänden einvernehmlich miteinander diskutieren, ist nicht alltäglich. Auf der ersten Veranstaltung des Vereins DG-BW Digitale Gesundheit Baden-Württemberg e. V. ist dies zum Thema Standardisierungsprozess der elektronischen Patientenakte gelungen. Eine Fortsetzung des Veranstaltungsformats soll folgen.
Die elektronische Patientenakte (ePA) ist zurzeit ein Thema das die gesamte Gesundheitsbranche beschäftigt. Bald sollen alle gesetzlich Versicherten sie nutzen dürfen und verschiedenen Ärzten ihre Daten zur Verfügung stellen können. Doch wie sieht es tatsächlich mit der Übertragbarkeit der Daten aus? Können die verschiedenen Systeme mit einander kommunizieren? Dieser Frage gingen die Teilnehmer der Veranstaltung 360° des Vereins DG-BW Digitale Gesundheit Baden-Württemberg e. V. am 14. Mai 2019 in Stuttgart nach. Der Verein DG-BW möchte, wie Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, Vorsitzender des Vorstands des Vereins, während seiner Begrüßung beschreibt, mit diesem Veranstaltungsformat einen offenen Austausch zwischen den Akteuren in Baden-Württemberg ermöglichen.
Elektronische Patientenakte tut sich schwer
Dass viele Akten schon scheiterten weiß Keynote-Sprecher Dr. Jörg Caumanns, Leiter des Geschäftsbereichs des ESPRI – Vernetzte Sicherheit am Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS. Sei es die Google Anwendung Google Health, die nun mit DeepMind Health eine Renaissance erleben soll, oder die stagnierende CGMLife der Koblenzer CompuGroup Medical Deutschland AG, keine der Akten gelang ein Durchbruch am Gesundheitsmarkt. Doch woran liegt das?
Laut Jörg Caumanns ist einer der Hauptfaktoren die Naivität der Entwickler, dass die Akte eine Selbstläufer sei. Die Integration in die Abläufe zwischen Arzt und Patient gestalte sich deutlich schwerer als gedacht und auch das Patienten-Empowerment sei schwierig. Hinzu kämen fehlende Schnittstellen mit den Krankenhausinformationssystemen (KIS) und ein sperriger Verwaltungsapparat.
Profile und Standards für die ePA
In Deutschland wird die Interoperabilität zwischen den Systemen unter anderem durch HL7 Deutschland e.V. und IHE Deutschland e.V. vorangetrieben. Letzterer entwickelt auf Basis der am häufigsten verwendeten Standards, wie HL7- oder DICOM-Profile, die auf spezifische Anwendungsfälle im Gesundheitswesen angepasst werden. So hat sich laut Caumanns das IHE-Profil XDS mittlerweile etabliert und wird zum Beispiel in der österreichischen elektronischen Gesundheitsakte ELGA sowie bei verschiedenen AOK-Projekten eingesetzt. Ferner ist der HL7-Kommunikationsstandards FHIR (Fast Healthcare Interoperable Resources, ausgesprochen wie im Englischen “fire”) besonders für mobile Anwendungen verbreitet zum Beispiel in der digitalen Gesundheitsakte Vivy. Trotz der bereits existierenden Standards und Profile werden diese, laut Caumanns, nicht einheitlich verwendet. Denn in 50 verschiedenen Projekten würde man auch 50 verschiedene Profile einsetzen, wie er an einem Beispiel der Interoperabilität bei einem vermeintlich einfachen Parameter, wie dem Körpergewicht deutlich macht. Aktuell sei es so, dass in der Gesundheitsbranche die verschiedenen Systeme nicht mit einander kommunizieren könnten. Er verdeutlicht dies mit einem Beispiel aus der Telekommunikation, so könne man in der Gesundheitsbranche mit einem Samsung-Smartphone kein iPhone anrufen. Caumanns sieht die Zukunft jedoch ganz klar bei dem HL7-FHIR-Standard.
Gelungener offener Austausch
Bei der im Anschluss an den Keynote-Vortrag gestarteten offenen Podiumsdiskussion, waren auf dem Podium mit Tobias Binder, Leiter Service und Beratung, Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, Dr. Günther Hanke, Präsident, Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, Dr. Oliver Heinze, kommissarischer Direktor Medizinische Informationssysteme, Universitätsklinikum Heidelberg und Tobias Zimmermann, Digitales Gesundheitsnetzwerk, AOK Baden-Württemberg Vertreter unterschiedliche Interessensgruppen vertreten. Doch schnell wird deutlich, dass die Ansichten nicht merklich voneinander abweichen. Alle Beteiligten streben eine einheitliche Standardisierung für die ePA an.
Mehr Vorgaben durch den Staat geforderte
Aus dem Publikum wird ebenso angeregt mit diskutiert. So gibt es laut Andreas Vogt, Leiter der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, bei der ePA auch einen besonderen Nutzen wenn der Patient eigentlich gesund sei, wie zum Beispiel der Impf- oder Mutterpass. Es ist daher nicht überraschend, dass im Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz – DVG) auch diese Anwendungsmöglichkeiten auf der ePA möglich sein sollen und die gematik (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH) zur Schaffung von technischen Voraussetzungen verpflichtet wird. Die Patienten wünschen sich, laut Hans-Günther Meyer, Interoperabilität, denn nur so könnten die verschiedenen vom Patienten genutzten Apps auch miteinander kommunizieren. Ärzte und Krankenhausvertreter melden sich ebenfalls zu Wort, so dass tatsächlich ein offener Austausch gelingt und klar wird, dass eigentlich keinem der Akteure daran gelegen ist, eine Digitalisierung zu verhindern, wie es doch häufig den Ärzten vorgeworfen wird. Ferner wird auch Kritik an der gematik geäußert, die seit Jahren per Gesetz eine interoperable und sektorübergreifende Telematikinfrastruktur als Basis für die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen implementieren soll, aber zu langsam agiere.
Doch wie kann man die Standardisierung erreichen? In einem von Prof. Alscher zusammen gefassten Statement wird deutlich, dass alle Beteiligten auf eine einheitliche Akte und Plattform hinarbeiten. Dazu gibt es auch den Wunsch nach einer Verordnung durch den Bund, wie es etwa bei der österreichischen ELGA der Fall ist, damit tatsächlich alle an einem Strang ziehen. Ferner kann der Patient, wie etwa bei der ePA des Uniklinikums Heidelberg, die Dr. Oliver Heinze beschreibt, zur digitalen Transformation beitragen, indem er diese einfordert.